MFT Policy Brief 1

Wie funktioniert eigentlich der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) und ist er ein gutes Instrument zur Bewältigung der Klimakrise?

von Jonas Plattner

Einleitung:

 

Es ist das zentrale Instrument der europäischen Klimapolitik: das Europäische Emissionshandelssystem (EU ETS). Vor allem konservative und liberale, aber auch linke Parteien sehen darin den Schlüssel zur Erreichung der europäischen Klimaziele. Doch wie genau funktioniert der Emissionshandel eigentlich? Führt er zuverlässig zu Emissionsminderungen, oder sieht er nur in der Theorie gut aus, bringt aber in der Praxis wenig bis gar nichts? Das wollen wir Dir in diesem MFT Policy Brief erklären.

 

 

Wie funktioniert das EU-ETS im Allgemeinen?

 

Es gibt verschiedene Arten von Emissionshandelssystemen, die sich vor allem durch ihre ökologische Integrität unterscheiden. Das EU-ETS ist ein so genanntes „Cap and Trade“-System. Das bedeutet, dass die EU ein jährliches Emissionsbudget (englisch Cap) festlegt, das die unter das EU-ETS fallenden Wirtschaftssektoren nicht überschreiten dürfen. Das Cap sinkt jedes Jahr um einen fixen Prozentsatz, den so genannten Linearen Reduktionsfaktor (LRF). Wer CO2 ausstoßen will, muss Emissionszertifikate kaufen. Ein Emissionszertifikat (EUA = EU Allowance) entspricht einer Tonne CO2. Jedes Jahr im September müssen die Emittenten die entsprechende Menge an Zertifikaten für ihre Emissionen des Vorjahres abgeben. Wenn sie keine gekauft haben, müssen sie Strafen zahlen. Im Jahr 2013 beliefen sich die Strafen auf 100 €/tCO2 und sind seitdem entsprechend dem Europäischen Verbraucherpreisindex (ein Indikator für die Inflation) gestiegen. Auf diese Weise belief sich die Strafe im vergangenen Jahr auf 128,71 €/tCO2 (EU 2024a).

 

Die meisten Emissionszertifikate werden von den Mitgliedstaaten versteigert und auf Märkten gehandelt. Dies führt zu einem schwankenden Preis. In der Praxis bedeutet das, dass bei einem hohen Marktpreis für Zertifikate und einem niedrigen Strompreis z.B. Braunkohlekraftwerke abgeschaltet werden, weil der erzielbare Verkaufspreis für den Strom niedriger wäre als die Produktionskosten zusammen mit den Kosten für Emissionszertifikate, die für die bei der Stromerzeugung anfallenden Emissionen gekauft werden müssten. Durch diesen Kostenmechanismus führen steigende Zertifikatspreise allmählich zu einem Rückgang der fossilen Wertschöpfung. In der Sprache der Ökonomen würde man sagen, dass die CO2-Emissionen durch den Emissionshandel „Opportunitätskosten“ erhalten. Das bedeutet, dass die Kosten für die Emission einer Tonne CO2 dem Preis entsprechen, der durch den Verkauf eines Zertifikats auf dem Zertifikatemarkt erzielt werden könnte. Selbst wenn Unternehmen Zertifikate kostenlos zugeteilt werden (was derzeit insbesondere für die Industrie trotz rückläufiger Tendenz noch immer die Praxis ist), haben sie einen Anreiz, ihre Emissionen zu reduzieren und ihre Zertifikate stattdessen für gutes Geld auf dem Markt zu verkaufen.

 

Die Handelbarkeit von Emissionszertifikaten bedeutet, dass Emissionen dort eingespart werden, wo es am kosteneffizientesten ist. Ein Unternehmen, für das das Einsparen von Emissionen sehr teuer ist, kauft lieber Zertifikate und emittiert weiter, während ein Unternehmen, dessen Emissionsvermeidungskosten niedriger als der Preis der Zertifikate sind, Emissionen einspart. Aus Sicht des Klimaschutzes zielt dieser Mechanismus darauf ab, die so genannten externen Kosten der Treibhausgasemissionen, d. h. die durch den Klimawandel verursachten Schäden, schrittweise in den Marktpreisen widerzuspiegeln und damit den Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem zu erleichtern.

 

 

Wer muss Zertifikate für seine Emissionen abgeben?

 

Wenn Du Dich jetzt panisch fragst, ob Du für Deine letzte Tankfüllung Emissionszertifikate hättest kaufen müssen, dann können wir Dich beruhigen! Nach dem heutigen Stand der Dinge unterliegen nur bestimmte Unternehmen dem Emissionshandel. Das wird sich jedoch 2027 ändern. Schauen wir uns das einmal genauer an.

 

Das seit 2005 bestehende Emissionshandelssystem (ETS 1) umfasst folgende Sektoren: die Energiewirtschaft (d. h. die Stromerzeugung), energieintensive Industrieunternehmen (z. B. Stahlwerke), den innereuropäischen Luftverkehrund ab 2024 den Seeverkehr (EU 2024b). Damit sind etwa 37 % der gesamten Treibhausgasemissionen der EU und 5 % der weltweiten Treibhausgasemissionen abgedeckt (Verde und Borghesi 2022; Agora Energiewende und Agora Verkehrswende 2023).

 

Ab 2027 wird jedoch ein zweites Emissionshandelssystem (ETS 2) eingeführt, das zusätzlich die Emissionen aus dem Gebäude- und dem Verkehrssektor erfasst (EU 2024c). Tanken und Heizen wird dann tatsächlich teurer werden. Autofahrer, Mieter und Hauseigentümer müssen sich jedoch nicht selbst um den Kauf von Zertifikaten kümmern. ETS 2 ist (im Gegensatz zu ETS 1) ein so genanntes „Upstream-System“. Das bedeutet, dass nicht der Emittent selbst, sondern der Vertreiber der fossilen Brennstoffe (d.h. der Kraftstoff- oder Heizöllieferant) die Zertifikate erwerben und abgeben muss (EU 2024c).

 

In Deutschland wird sich durch die Einführung des ETS 2 übrigens nicht viel ändern. Denn in hier gibt es bereits ein nationales Emissionshandelssystem (nEHS) für den Verkehrs- und Gebäudesektor auf der Grundlage des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG). Trotz seines Namens ist das nEHS derzeit ein Festpreissystem mit politisch festgelegten CO2-Preisen (2024: 45 €/t CO2; 2025: 55 €/t CO2). Trotzdem führt es dazu, dass die Emissionen, die durch Autofahren und Heizen in Deutschland entstehen, heute schon bepreist werden (Frenz 2023).

 

Zusammen werden ETS 1 und ETS 2 ab 2027 rund 75 % der gesamten Treibhausgasemissionen der EU abdecken. Außerdem gibt es Ideen, auch die Abfallwirtschaft in ETS 2 einzubeziehen (Agora Energiewende und Agora Verkehrswende 2023).

 

 

Was geschieht mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel?

 

Der Großsteil der Zertifikate wird von den Mitgliedstaaten versteigert. Nur 2% der Zertifikate versteigert die EU selbst. Das bedeutet, dass der größte Teil der Erlöse aus dem Verkauf von Zertifikaten direkt an die Mitgliedstaaten geht. Seit 2023 müssen die Mitgliedsstaaten die Erlöse ausschließlich zur Finanzierung klimapolitischer Programme verwenden – vorher waren es mindestens 50 Prozent (EU 2024c). In Deutschland zum Beispiel fließen die ETS-Einnahmen in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF), aus dem unter anderem der Aufbau einer Wasserstoffindustrie und die Förderung der Elektromobilität finanziert werden. In Deutschland flossen im Jahr 2023 Rekorderlöse von über 18 Milliarden Euro aus dem ETS 1 und dem nEHS in den KTF (UBA 2024). In der gesamten EU erzielte der europäische Emissionshandel im Jahr 2023 Einnahmen von 43,6 Milliarden Euro (ICAP 2024).

 

 

Und hilft das Ganze wirklich dem Klima?

 

Die kurze Antwort lautet: Ja! In der Vergangenheit wurde das europäische Emissionshandelssystem oft dafür kritisiert, dass es im Grunde zu keinen nennenswerten Emissionsminderungen geführt hat. Die Kritik war lange Zeit berechtigt, da das europäische Emissionshandelssystem in den ersten beiden Handelsperioden (2005 bis 2012) einige gravierende Schwächen aufwies (Ellerman et al. 2010). Dies lag jedoch nicht am Emissionshandel als Instrument, sondern an der mangelnden Bereitschaft der europäischen Klimapolitik, das ETS mit ambitionierten Reduktionszielen auszustatten. Im Rahmen des „Fit-for-55-Pakets“ hat die EU das ETS jedoch deutlich verschärft.

 

Der lineare Reduktionsfaktor im ETS 1 beträgt seit diesem Jahr 4,3 % (4,4 % ab 2028). Im ETS 2 wird das Cap im ersten Jahr um 5,1 % und ab 2028 um 5,38 % jährlich schrumpfen (EU 2024c).

Das bedeutet, dass die maximale Menge an Emissionen, die in der europäischen Wirtschaft ausgestoßen werden darf, jedes Jahr deutlich sinkt. Bei dem derzeit definierten Schrumpfungspfad des Caps werden die CO2-Emissionen aus den ETS-1-Sektoren bis 2039 auf Null gesunken sein (Cozijnsen 2023). Konkret bedeutet dies, dass es ab 2039 in der EU nur noch klimaneutralen Strom, Stahl, chemische Produkte etc. geben wird. Die Regelungen zur Weiterentwicklung des ETS für die 2030er Jahre werden bereits auf europäischer Ebene diskutiert - dazu gehört auch die Frage, inwieweit technisch unvermeidbare Emissionen durch die dauerhafte Speicherung von CO2 und negative Emissionen in anderen Sektoren im ETS 1 ausgeglichen werden können. Für die ETS-2-Sektoren (Verkehr und Gebäude) bedeutet der vereinbarte Reduktionspfad eine Senkung der CO2-Emissionen um 43% bis 2030 gegenüber 2005 (EU 2024c).

 

Im Gegensatz zu einer CO2-Steuer oder anderen Formen des Emissionshandels ist ein Cap-and-Trade-System wie das ETS sehr effektiv und führt zuverlässig zu Emissionsminderungen. Das liegt einfach daran, dass durch das schrumpfende Cap ein Mindestreduktionspfad gesetzlich festgelegt ist. Im europäischen Emissionshandel sorgt zudem seit 2019 eine sogenannte Marktstabilitätsreserve (MSR) dafür, dass überschüssige Zertifikate aus vorangegangenen Handelsperioden sukzessive abgebaut werden und das System damit deutliche Anreize für mehr Klimaschutz setzt. Dabei ist es für die Effektivität und ökologische Integrität eines Cap-and-Trade-Systems entscheidend, dass das Cap schnell genug schrumpft, die Strafen für die Nichtabgabe von Emissionsrechten hoch genug sind und keine Emissionsgutschriften (Carbon Credits) aus ökologisch fragwürdigen Klimaschutzprojekten auf das Cap angerechnet werden können.

 

Empirische Belege haben gezeigt, dass die CO2-Emissionen in den ETS-Sektoren seit der Einführung des ETS zurückgegangen sind, obwohl die Wirtschaftstätigkeit zugenommen hat (Meadows et al. 2019). Dies wird von Ökonomen als „absolute Entkopplung“ bezeichnet. Es ist schwer zu sagen, ob diese Reduktionen allein dem ETS zugeschrieben werden können. Allerdings waren die Emissionsreduktionen in den ETS-Sektoren in der Vergangenheit deutlich größer als in den Sektoren, die nicht unter das ETS fallen. Das deutet auf einen erheblichen Einfluss des ETS auf die Emissionsverringerungen hin.

 

 

Wo liegen die Probleme und wo gibt es Handlungsbedarf?

 

Aber hat das derzeitige Emissionshandelssystem alle Probleme der europäischen Klimapolitik gelöst? Nein. Auch wenn das ETS zuverlässig zu Emissionsminderungen führt, gibt es einiges, was es nicht leisten kann. Zum Beispiel kann der Emissionshandel nicht garantieren, dass die Lasten steigender CO2-Preise regional und sozial gerecht verteilt werden. Es gibt jedoch überzeugende Vorschläge, wie dies in Zukunft sichergestellt werden kann - insbesondere durch ein Klimageld und Förderprogramme für sozial schwache Haushalte (siehe: UBA 2023). Außerdem kann der Emissionshandel nicht verhindern, dass emissionsintensive Industrien und Unternehmen in Länder ohne CO2-Preis abwandern und dort ihre klimaschädlichen Güter produzieren oder dass Verbraucher auf billigere Produkte aus Ländern ohne CO2-Preis ausweichen. Diese Phänomene werden als „Carbon Leakage“ bezeichnet. In der Vergangenheit hat die EU versucht, Carbon Leakage zu verhindern, indem sie emissionsintensiven Unternehmen kostenlos Zertifikate zuteilte. Mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) hat die EU Ende 2023 ein neues Instrument eingeführt, um Carbon Leakage zu verhindern. Das erklären wir euch aber in einem separaten Beitrag.

 

Ein viel grundsätzlicheres Problem des ETS ist die Frage, ob seine Reduktionsziele (d.h. der Schrumpfungspfad des Caps) ambitioniert genug sind. Dies ist jedoch kein funktionales Problem des ETS, sondern lediglich eine Frage, welche Linearen Reduktionsfaktoren politisch vereinbart werden und welche Sektoren und Emissionen unter das ETS fallen. Ein Problem, das direkt mit der Funktionsweise des ETS zusammenhängt, ist hingegen die Frage, ob sogenannte „Carbon Credits“ aus Klimaschutzprojekten innerhalb oder außerhalb der EU (z.B. Regenwaldschutzprojekte in Lateinamerika) anstelle von EUAs im EU ETS verwendet werden dürfen. Dies könnte die ökologische Integrität des ETS untergraben. Derzeit sind solche Kompensationen nicht erlaubt, werden aber regelmäßig in die politische Debatte eingebracht.

 

 

Schlussfolgerung:

 

Das Europäische Emissionshandelssystem (EU ETS) ist ein wirksames Instrument der europäischen Klimapolitik, mit dem CO2-Emissionen zuverlässig und vorhersehbar reduziert werden können. Gleichzeitig stellt es sicher, dass die Emissionen dort reduziert werden, wo die Kosten der Emissionsvermeidung am geringsten sind. Das macht das EU-ETS zu einem klimapolitischen Instrument mit großer wirtschaftlicher Effizienz und potenziell hoher Wirkung. Rund 40 % der europäischen CO2-Emissionen werden derzeit durch das ETS abgedeckt und dieser Anteil wird bis 2027 mit der Einführung des ETS 2 auf rund 75 % steigen. Die derzeitige Kalibrierung des ETS 1 wird bis 2038 zu Netto-Null-Emissionen im Energiesektor, in der energieintensiven Industrie, im innereuropäischen Luft- und Seeverkehr führen. Für den übrigen Verkehr und den Gebäudesektor wurde für 2030 eine Reduzierung der Emissionen um 43 % gegenüber 2005 festgelegt. Die Herausforderungen des ETS sind eine sozial gerechte Verteilung der Lasten und die Verlagerung von Emissionen ins Ausland. Einige Konzepte hierfür wurden jedoch bereits entwickelt (Klimageld) oder sogar verwirklicht (CBAM). Fraglich ist auch, ob die aktuellen Reduktionsziele des ETS mit dem Pariser Klimaabkommen und dem Ziel der globalen Klimagerechtigkeit vereinbar sind. Es liegt an der Politik, geeignete Ziele für das ETS festzulegen.


Quellen und weiterführende Literatur:

 

  • Agora Energiewende und Agora Verkehrswende (2023) Der CO2-Preis für Gebäude und Verkehr. Ein Konzept für den Übergang vom nationalen zum EU-Emissionshandel.
  • Cozijnsen, J. (2023) Tightening EU ETS leads to zero emissions before 2040. 
  • Ellerman, A.D. et al. (2010) Pricing Carbon: The European Union Emissions Trading Scheme. Cambridge: Cambridge University Press.
  • EU (2024a) Directive 2008/101/EC, 2009 OJ (L 8) 3.
  • EU (2024b) Directive 2003/87/EC, 2003 OJ (L 275) 32.
  • EU (2024c) Directive 2023/959, 2023 OJ (L 130) 150.
  • Frenz, W. (2023) Grundzüge des Klimaschutzrechts. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
  • ICAP (2024) EU Emissions Trading System.
  • Meadows, D., Vis, P. and Zapfel, P. (2019) ‘The EU EmissionsTrading System’ in Delbeke, J. and Vis, P. (eds.) Towards a Climate Neutral Europe. pp. 66 – 94.
  • UBA (2023) "CO2-Preis im Gebäude- und Verkehrsbereich effektiv und sozialverträglich gestalten" 
  • UBA (2024) Neue Rekordeinnahmen im Emissionshandel: Über 18 Milliarden Euro für den Klimaschutz. Umweltbundesamt. 
  • Verde, S. und Borghesi, S. (2022) ‘The International Dimension of the EU Emissions Trading System: Bringing the Pieces Together’ Environmental and Resource Economics 83, S. 23 – 46.

Jonas Plattner studiert Internationale Wirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und an der Sorbonne Université in Paris. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Internationalen Beziehungen und Philosophie.


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